21.2.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 48/3


ÜBERSETZUNG

VERTRAG VON MARRAKESCH

zur Erleichterung des Zugangs zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte und anderweitig lesebehinderte Personen

DIE VERTRAGSPARTEIEN SIND —

UNTER HINWEIS auf die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, Chancengleichheit, Zugänglichkeit, vollständiger und wirksamer Einbeziehung in die Gesellschaft und Teilhabe an der Gesellschaft, wie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verkündet,

EINGEDENK der Herausforderungen, die der vollen Entfaltung von Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen entgegenstehen und ihre Freiheit der Meinungsäußerung einschränken einschließlich der Freiheit, Informationen sowie Ideen aller Art gleichberechtigt mit anderen Personen sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben, auch durch sämtliche Kommunikationsformen ihrer Wahl, und die der Ausübung des Rechts auf Bildung und der Möglichkeit, Forschungen durchzuführen, entgegenstehen

UNTER BETONUNG der Bedeutung des Urheberrechtschutzes als Anreiz und Belohnung für das literarische und künstlerische Schaffen sowie der Verbesserung der Möglichkeiten für alle Menschen, einschließlich Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen, um am kulturellen Leben der Gemeinschaft teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und seinen Vorteilen teilzuhaben,

EINGEDENK der Hindernisse, denen Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen beim Zugang zu veröffentlichten Werken vor dem Hintergrund der Chancengleichheit in der Gesellschaft gegenüberstehen, sowie der Notwendigkeit, sowohl die Anzahl der Werke in barrierefreien Formaten zu steigern als auch die Verbreitung dieser Werke zu verbessern,

UNTER BERÜCKSICHTIGUNG der Tatsache, dass die Mehrheit der Personen mit Sehbehinderung oder sonstigen Lesebehinderungen in Entwicklungsländern sowie in den am wenigsten entwickelten Ländern lebt,

IN ANERKENNUNG, dass trotz der in den nationalen Urheberrechtsgesetzen bestehenden Unterschiede die positiven Auswirkungen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien auf das Leben von Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen durch einen verbesserten Rechtsrahmen auf internationaler Ebene verstärkt werden können,

IN ANERKENNUNG, dass zwar viele Mitgliedstaaten Beschränkungen und Ausnahmen zugunsten von Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen in ihren nationalen Urheberrechtsgesetzen vorgesehen haben, aber weiterhin ein Mangel an verfügbaren Werken in barrierefreien Formaten für diese Personen besteht, und dass beträchtliche Ressourcen erforderlich sind, um diesen Personen Werke zugänglich zu machen, und dass die fehlenden Möglichkeiten eines grenzüberschreitenden Austauschs von Vervielfältigungsstücken in einem barrierefreien Format Doppelarbeit erforderlich gemacht haben,

IN ANERKENNUNG sowohl der Bedeutung der Rolle der Rechteinhaber bei der Bereitstellung ihrer Werke für Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen als auch der Bedeutung geeigneter Beschränkungen und Ausnahmen, um die Werke diesen Personen zugänglich zu machen, insbesondere, wenn der Markt nicht in der Lage ist, einen solchen Zugang zu bieten,

IN ANERKENNUNG der Notwendigkeit, ein Gleichgewicht zwischen dem wirksamen Schutz der Rechte der Urheber und dem Interesse der breiteren Öffentlichkeit — insbesondere Bildung, Forschung und Informationszugang betreffend — zu wahren, und dass durch ein solches Gleichgewicht der wirksame und rechtzeitige Zugang zu Werken zugunsten von Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen erleichtert werden muss,

IN BEKRÄFTIGUNG der Verpflichtungen der Vertragsparteien, die aus den bestehenden internationalen Verträgen über den Urheberrechtschutz erwachsen, sowie der Bedeutung und Flexibilität des dreistufigen Tests für die in Artikel 9 Absatz 2 der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst und anderen internationalen Instrumenten festgelegten Beschränkungen und Ausnahmen,

UNTER HINWEIS auf die Bedeutung der 2007 durch die Generalversammlung der Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organisation, WIPO) verabschiedeten Empfehlungen (WIPO-Development-Agenda), die sicherstellen sollen, dass der Aspekt der Weiterentwicklung einen festen Bestandteil der Arbeit der Organisation darstellt,

IN ANERKENNUNG der Bedeutung des internationalen Urheberrechtssystems und in dem Wunsch nach einer Harmonisierung der Beschränkungen und Ausnahmen, um den Zugang und die Nutzung von Werken durch Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen zu erleichtern —

WIE FOLGT ÜBEREINGEKOMMEN:

Artikel 1

Verhältnis zu anderen Übereinkommen und Verträgen

Dieser Vertrag entbindet nicht von Verpflichtungen, die die Vertragsparteien gemäß anderen Verträgen untereinander eingegangen sind, noch werden durch diesen Vertrag die Rechte einer Vertragspartei beeinträchtigt, die diese gemäß anderen Verträgen innehat.

Artikel 2

Definitionen

Für die Zwecke dieses Vertrags bezeichnet

a)

„Werke“ literarische und künstlerische Werke im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst in Form von Text, Notationen und/oder damit verbundenen Darstellungen, unabhängig davon, ob diese veröffentlicht sind oder in anderer Weise in welcher Form auch immer öffentlich verfügbar gemacht werden,; (1)

b)

„Vervielfältigungsstück in einem barrierefreien Format“ das Vervielfältigungsstück eines Werks in einer alternativen Weise oder Form, durch die eine begünstigte Person Zugang zum Werk erhält und der Person der Zugang so leicht und angenehm, wie es auch bei Personen ohne Sehbehinderung oder einer sonstigen Lesebehinderung der Fall ist, ermöglicht wird. Das Vervielfältigungsstück in einem barrierefreien Format wird ausschließlich von begünstigen Personen benutzt, und die Integrität des ursprünglichen Werks muss unter angemessener Berücksichtigung der für den Zugang zum Werk in alternativer Form erforderlichen Änderungen sowie der Bedürfnisse der begünstigten Personen beim Zugang gewahrt bleiben;

c)

„befugte Stelle“ eine Stelle, die vom Staat befugt oder anerkannt wurde, Ausbildung, Schulungen, adaptives Lesen oder Informationszugang für begünstigte Personen auf gemeinnützige Weise bereitzustellen. Das umfasst auch staatliche Einrichtungen oder gemeinnützige Organisationen, die begünstigten Personen dieselben Dienste als eine ihrer Haupttätigkeiten oder institutionellen Verpflichtungen bereitstellen. (2)

Die befugte Stelle legt ihre eigenen Verfahrensweisen fest und befolgt diese,

i)

um sicherzustellen, dass es sich bei den Personen, die in den Genuss ihrer Dienste kommen, um begünstigte Personen handelt;

ii)

um die Verbreitung und Zugänglichmachung von Vervielfältigungsstücken in einem barrierefreien Format auf begünstigte Personen und/oder befugte Stellen zu begrenzen;

iii)

um die Vervielfältigung, Verbreitung und Zugänglichmachung unbefugter Vervielfältigungsstücke einzudämmen und

iv)

um bei der Handhabung der Vervielfältigungsstücke der Werke die erforderliche Sorgfalt walten zu lassen und darüber Aufzeichnungen zu führen, wobei die Privatsphäre begünstigter Personen gemäß Artikel 8 gewahrt bleibt.

Artikel 3

Begünstige Personen

Eine begünstigte Person ist eine Person, die unabhängig von sonstigen anderen Behinderungen

a)

blind ist;

b)

unter einer Sehbehinderung, Wahrnehmungsstörung oder Lesebehinderung leidet, die nicht in einer Weise korrigiert werden kann, die eine Sehfähigkeit verleiht, die der einer Person ohne eine solche Beeinträchtigung im Wesentlichen gleichwertig ist, und die daher außerstande ist, gedruckte Werke in im Wesentlichen demselben Maße zu lesen wie eine Person ohne Behinderung oder Störung, oder (3)

c)

anderweitig aufgrund einer körperlichen Behinderung außerstande ist, ein Buch zu halten oder zu handhaben oder ihre Augen zu fokussieren oder in dem Umfang zu bewegen, wie es für das Lesen von Büchern normalerweise erforderlich ist.

Artikel 4

Im nationalen Urheberrecht vorgesehene Beschränkungen und Ausnahmen für Vervielfältigungsstücke in einem barrierefreien Format

(1)

a)

Die Vertragsparteien sehen in ihren nationalen Urheberrechtsgesetzen Beschränkungen oder Ausnahmen für das Vervielfältigungsrecht, das Recht der Verbreitung sowie das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung vor, wie durch den WIPO-Urheberrechtsvertrag festgelegt, um die Verfügbarkeit von Werken in barrierefreien Formaten für die Begünstigten zu erleichtern. Die im nationalen Recht vorgesehenen Beschränkungen und Ausnahmen sollten Änderungen erlauben, die erforderlich sind, um das Werk in dem alternativen Format zugänglich zu machen.

b)

Die Vertragsparteien können außerdem Beschränkungen oder Ausnahmen für das Recht der öffentlichen Aufführung vorsehen, um begünstigten Personen den Zugang zu Werken zu erleichtern.

(2)   Eine Vertragspartei kann Artikel 4 Absatz 1 bezüglich aller dort aufgeführten Rechte nachkommen, indem sie in ihrem nationalen Recht eine Beschränkung oder Ausnahme vorsieht, für die Folgendes gilt:

a)

Den befugten Stellen ist zu gestatten ohne Genehmigung des Urheberrechtsinhabers Vervielfältigungsstücke von Werken in einem barrierefreien Format zu erstellen, Vervielfältigungsstücke in einem barrierefreien Format von anderen befugten Stellen zu erhalten, diese Vervielfältigungsstücke für begünstigte Personen auf beliebige Art und Weise bereitzustellen, einschließlich durch nicht gewerblichen Verleih oder elektronische drahtgebundene oder drahtlose Kommunikation, sowie Interim-Maßnahmen zum Erreichen all dieser Ziele einzuleiten, sofern sämtliche folgende Bedingungen erfüllt sind:

i)

die befugte Stelle, die dahingehend tätig zu werden beabsichtigt, hat rechtmäßigen Zugang zu dem betreffenden Werk oder einem Vervielfältigungsstück des Werks;

ii)

das Werk wird in ein Vervielfältigungsstück in einem barrierefreien Format konvertiert, das alle Mittel umfassen kann, die erforderlich sind, um die Informationen in dem barrierefreien Format auffinden zu können, jedoch keine weiteren Änderungen umfasst, mit Ausnahme derjenigen, die erforderlich sind, um das Werk der begünstigten Person zugänglich zu machen;

iii)

die Vervielfältigungsstücke in einem barrierefreien Format werden ausschließlich für die Nutzung durch begünstigte Personen bereitgestellt und

iv)

die Tätigkeit erfolgt gemeinnützig;

und

b)

eine begünstigte Person oder eine in ihrem Namen handelnde Person einschließlich einer Hauptbetreuungsperson oder Pflegekraft darf ein Vervielfältigungsstück eines Werks in einem barrierefreien Format zur persönlichen Nutzung durch die begünstigte Person erstellen oder die begünstigte Person anderweitig dabei unterstützen, Vervielfältigungsstücke in einem barrierefreien Format herzustellen oder zu verwenden, vorausgesetzt, dass die begünstigte Person rechtmäßigen Zugang zu diesem Werk oder einem Vervielfältigungsstück dieses Werks hat.

(3)   Eine Vertragspartei kann Artikel 4 Absatz 1 nachkommen, indem sie in ihrem nationalen Recht weitere Beschränkungen und Ausnahmen gemäß den Artikeln 10 und 11 vorsieht. (4)

(4)   Eine Vertragspartei kann Beschränkungen und Ausnahmen gemäß diesem Artikel auf Werke beschränken, die in dem einschlägigen barrierefreien Format für die begünstigten Personen nicht unter angemessenen Bedingungen auf dem betreffenden Markt erhältlich sind. Jede Vertragspartei, die von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, erklärt das in einer Notifikation, die beim Generaldirektor der WIPO zum Zeitpunkt der Ratifizierung, der Annahme oder des Beitritts zu diesem Vertrag oder zu einem späteren Zeitpunkt hinterlegt wird. (5)

(5)   Ob Beschränkungen oder Ausnahmen gemäß diesem Artikel an eine Vergütung geknüpft sind, wird im nationalen Recht geregelt.

Artikel 5

Grenzüberschreitender Austausch von Vervielfältigungsstücken in einem barrierefreien Format

(1)   Für den Fall, dass ein Vervielfältigungsstück in einem barrierefreien Format nach Maßgabe einer Beschränkung oder Ausnahme oder kraft Gesetzes hergestellt wird, sehen die Vertragsparteien vor, dass eine befugte Stelle das Vervielfältigungsstück in einem barrierefreien Format an eine begünstigte Person oder eine befugten Stelle einer anderen Vertragspartei verbreiten oder sie ihr zugänglich machen kann. (6)

(2)   Eine Vertragspartei kann Artikel 5 Absatz 1 nachkommen, indem sie eine Beschränkung oder Ausnahme in ihrem nationalen Recht vorsieht, für die Folgendes gilt:

a)

befugten Stellen ist es gestattet, ohne die Genehmigung des Rechteinhabers befugten Stellen anderer Vertragsparteien Vervielfältigungsstücke in einem barrierefreien Format für die ausschließliche Nutzung durch begünstigte Personen bereitzustellen oder zur Verfügung zu halten und

b)

befugten Stellen ist es gestattet, ohne die Genehmigung des Rechteinhabers und gemäß Artikel 2 Buchstabe c begünstigten Personen anderer Vertragsparteien Vervielfältigungsstücke in einem barrierefreien Format bereitzustellen und zur Verfügung zu halten;

vorausgesetzt, dass die ursprüngliche befugte Stelle vor der Verbreitung oder Bereitstellung nicht wusste oder keinen berechtigten Grund zur Annahme hatte, dass das Vervielfältigungsstück in einem barrierefreien Format zugunsten von anderen Personen als begünstigte Personen verwendet wird. (7)

(3)   Eine Vertragspartei kann Artikel 5 Absatz 1 nachkommen, indem sie in ihrem nationalen Urheberrecht andere Beschränkungen und Ausnahmen nach Maßgabe von Artikel 5 Absatz 4 und von Artikel 10 und 11 vorsieht.

(4)

a)

Erhält eine befugte Stelle in einer Vertragspartei zugängliche Vervielfältigungsstücke in einem barrierefreien Format gemäß Artikel 5 Absatz 1 und hat diese Vertragspartei keine Verpflichtungen gemäß Artikel 9 der Berner Übereinkunft, so stellt sie in Einklang mit ihrer eigenen Rechtsordnung und ihren Verfahrensweisen sicher, dass die Vervielfältigungsstücke in einem barrierefreien Format lediglich zugunsten von begünstigten Personen innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs vervielfältigt, verbreitet oder bereitgestellt werden.

b)

Die Verbreitung und Zugänglichmachung von Vervielfältigungsstücken in einem barrierefreien Format durch eine befugte Stelle gemäß Artikel 5 Absatz 1 ist auf diesen gerichtlichen Zuständigkeitsbereich begrenzt, es sei denn, die Vertragspartei ist eine Partei des WIPO-Urheberrechtsvertrags oder sie begrenzt bei der Umsetzung des Vertrags anderweitig die Beschränkungen und Ausnahmen für das Recht zur Verbreitung und Zugänglichmachung an die Öffentlichkeit auf bestimmte und besondere Fälle, die weder im Widerspruch zu einer normalen Nutzung des Werks stehen noch die berechtigten Interessen des Rechteinhabers unzumutbar verletzen. (8) (9)

c)

Dieser Artikel berührt in keiner Weise die Bestimmung, was als Akt der Verbreitung oder Zugänglichmachung an die Öffentlichkeit gilt.

(5)   Keine Bestimmung dieses Vertrags darf zur Behandlung der Frage der Erschöpfung von Rechten verwendet werden.

Artikel 6

Einfuhr von Vervielfältigungsstücken in einem barrierefreien Format

Soweit das nationalen Recht einer Vertragspartei es einer begünstigten Person, einer in deren Namen handelnden Person oder einer befugten Stelle gestatteten, ein Vervielfältigungsstück eines Werks in einem barrierefreien Format zu erstellen, ist es diesen ebenso gestattet, ein Vervielfältigungsstück in einem barrierefreien Format zugunsten von begünstigten Personen ohne Genehmigung des Rechteinhabers einzuführen. (10)

Artikel 7

Verpflichtungen im Zusammenhang mit technischen Vorkehrungen

Die Vertragsparteien ergreifen erforderlichenfalls angemessene Maßnahmen, um sicherzustellen, dass, wenn sie einen angemessenen Rechtsschutz und wirksame Rechtsbehelfe gegen die Umgehung wirksamer technischer Vorkehrungen vorsehen, der Rechtsschutz die Begünstigten nicht daran hindert, in den Genuss der in diesem Vertrag vorgesehenen Beschränkungen und Ausnahmen zu kommen. (11)

Artikel 8

Achtung der Privatsphäre

Die Vertragsparteien sind bestrebt, bei der Umsetzung der in diesem Vertrag vorgesehenen Beschränkungen und Ausnahmen die Privatsphäre der begünstigten Personen in gleichem Maße wie bei anderen Personen zu schützen.

Artikel 9

Zusammenarbeit zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs

(1)   Die Vertragsparteien sind bestrebt, den grenzüberschreitenden Austausch von Vervielfältigungsstücken in einem barrierefreien Format zu fördern, indem sie den freiwilligen Informationsaustausch unterstützen, um den befugten Stellen zu helfen, sich gegenseitig zu identifizieren. Das Internationale Büro der WIPO richtet zu diesem Zweck einen Informationszugangspunkt ein.

(2)   Die Vertragsparteien verpflichten sich, ihre befugten Stellen, die die in Artikel 5 festgelegten Tätigkeiten ausüben, bei der Bereitstellung von Informationen über ihre Verfahrensweisen gemäß Artikel 2 Buchstabe c zu unterstützen, und zwar sowohl durch den Informationsaustausch zwischen den befugten Stellen als auch durch die Bereitstellung von Informationen über ihre Methoden und Verfahrensweisen, einschließlich für den grenzüberschreitenden Austausch von Vervielfältigungsstücken in einem barrierefreien Format, an interessierte Parteien und gegebenenfalls die Öffentlichkeit.

(3)   Das Internationale Büro der WIPO wird aufgefordert, gegebenenfalls Informationen über die Funktionsweise dieses Vertrags mitzuteilen.

(4)   Die Vertragsparteien erkennen die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit und ihrer Förderung zur Unterstützung der nationalen Bemühungen zur Verwirklichung des Zwecks und der Ziele dieses Vertrags an. (12)

Artikel 10

Allgemeine Grundsätze der Umsetzung

(1)   Die Vertragsparteien verpflichten sich, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Anwendung dieses Vertrags sicherzustellen.

(2)   Den Vertragsparteien steht es frei, die für die Umsetzung der Bestimmungen dieses Vertrags innerhalb ihrer eigenen Rechtsordnung und ihrer Verfahrensweisen geeignete Methode zu bestimmen. (13)

(3)   Die Vertragsparteien können ihre Rechte und Verpflichtungen aus diesem Vertrag durch Beschränkungen und Ausnahmen speziell zugunsten begünstigter Personen, sonstige Beschränkungen und Ausnahmen oder eine Kombination davon im Rahmen ihrer eigenen nationalen Rechtsordnung und ihrer Verfahrensweisen erfüllen. Diese können rechtliche, verwaltungsrechtliche oder behördliche Festlegungen zugunsten von begünstigten Personen zu gerechten Verfahrensweisen, Verfahren oder Vorgehensweisen umfassen, um deren Bedürfnisse in Übereinstimmung mit den Rechten und Verpflichtungen der Vertragsparteien gemäß der Berner Übereinkunft oder anderen internationalen Verträgen sowie Artikel 11 zu erfüllen.

Artikel 11

Allgemeine Verpflichtungen im Zusammenhang mit Beschränkungen und Ausnahmen

Bei der Umsetzung der Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Anwendung dieses Vertrags sicherzustellen, kann eine Vertragspartei die Rechte ausüben und hat die Verpflichtungen zu erfüllen, die für sie gemäß der Berner Übereinkunft, dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums und dem WIPO-Urheberrechtsvertrags, einschließlich ihrer Auslegungsvereinbarungen, gelten, sodass:

a)

gemäß Artikel 9 Absatz 2 der Berner Übereinkunft eine Vertragspartei die Vervielfältigung von Werken in bestimmten besonderen Fällen gestatten kann, vorausgesetzt, dass eine solche Vervielfältigung weder die normale Verwertung des Werkes beeinträchtigt, noch die berechtigten Interessen des Urhebers unzumutbar verletzt;

b)

gemäß Artikel 13 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums eine Vertragspartei die Beschränkungen oder Ausnahmen für ausschließliche Rechte auf bestimmte Fälle begrenzt, die weder die normale Verwertung des Werks beeinträchtigen noch die berechtigten Interessen des Urhebers unzumutbar verletzen;

c)

gemäß Artikel 10 Absatz 1 des WIPO-Urheberrechtsvertrags eine Vertragspartei Beschränkungen oder Ausnahmen für die gemäß dem WCT gewährten Autorenrechte in bestimmten besonderen Fällen vorsehen kann, wenn diese weder die normale Verwertung des Werks beeinträchtigen noch die berechtigten Interessen des Autors unzumutbar verletzen;

d)

gemäß Artikel 10 Absatz 2 des WIPO-Urheberrechtsvertrags eine Vertragspartei bei der Anwendung der Berner Übereinkunft Beschränkungen oder Ausnahmen für Rechte in bestimmten besonderen Fällen beschränkt, wenn diese weder die normale Verwertung des Werks beeinträchtigen noch die berechtigten Interessen des Autors unzumutbar verletzen.

Artikel 12

Sonstige Beschränkungen und Ausnahmen

(1)   Die Vertragsparteien erkennen an, dass eine Vertragspartei in ihrem nationalen Recht andere Beschränkungen und Ausnahmen des Urheberrechts zugunsten von begünstigten Personen aufnehmen kann als diejenigen, die in diesem Vertrag vorgesehen sind, wobei die wirtschaftliche Situation der Vertragspartei und ihrer sozialen und kulturellen Bedürfnisse, in Übereinstimmung mit den internationalen Rechten und Verpflichtungen der Vertragspartei und — im Falle eines der am wenigsten entwickelten Länder -seine besonderen Bedürfnisse sowie seine besonderen internationalen Rechte, Verpflichtungen und deren Flexibilitäten zu berücksichtigen sind.

(2)   Dieser Vertrag lässt die im nationalen Recht vorgesehenen sonstigen Beschränkungen und Ausnahmen für Personen mit Behinderungen unberührt.

Artikel 13

Versammlung

(1)

a)

Die Vertragsparteien haben eine Versammlung.

b)

Jede Vertragspartei wird in der Versammlung durch einen Delegierten vertreten, der von Stellvertretern, Beratern und Sachverständigen unterstützt werden kann.

c)

Die Kosten jeder Delegation werden von der Vertragspartei getragen, die sie entsandt hat. Die Versammlung kann die WIPO um finanzielle Unterstützung bitten, um die Teilnahme von Delegationen von Vertragsparteien zu erleichtern, die nach der bestehenden Praxis der Generalversammlung der Vereinten Nationen als Entwicklungsländer angesehen werden oder Länder im Übergang zur Marktwirtschaft sind.

(2)

a)

Die Versammlung behandelt Fragen, die die Erhaltung und Entwicklung sowie die Anwendung und Durchführung dieses Vertrags betreffen.

b)

Die Versammlung nimmt bei der Zulassung bestimmter zwischenstaatlicher Organisationen als Vertragspartei die ihr nach Artikel 15 übertragene Aufgabe wahr.

c)

Die Versammlung beschließt die Einberufung einer Diplomatischen Konferenz zur Revision dieses Vertrags und erteilt dem Generaldirektor der WIPO die notwendigen Weisungen für die Vorbereitung einer solchen Diplomatischen Konferenz.

(3)

a)

Jede Vertragspartei, die ein Staat ist, verfügt über eine Stimme und stimmt nur in ihrem eigenen Namen ab.

b)

Eine Vertragspartei, die eine zwischenstaatliche Organisation ist, kann anstelle ihrer Mitgliedstaaten an der Abstimmung teilnehmen und verfügt über eine Anzahl von Stimmen, die der Anzahl ihrer Mitgliedstaaten entspricht, die Vertragspartei dieses Vertrags sind. Eine zwischenstaatliche Organisation kann nicht an der Abstimmung teilnehmen, wenn einer ihrer Mitgliedstaaten sein Stimmrecht ausübt und umgekehrt.

(4)   Die Versammlung tritt nach Einberufung durch den Generaldirektor der WIPO, wenn keine außerordentlichen Umstände vorliegen, in demselben Zeitraum und am selben Ort wie die Generalversammlung der WIPO zusammen.

(5)   Die Versammlung ist bestrebt, ihre Beschlüsse einvernehmlich zu fassen, und gibt sich eine Geschäftsordnung, in der auch die Einberufung außerordentlicher Sitzungen, die Voraussetzungen für die Beschlussfähigkeit und vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Vertrags die erforderlichen Mehrheiten für die verschiedenen Arten von Beschlüssen geregelt sind.

Artikel 14

Internationales Büro

Das internationale Büro der WIPO nimmt die Verwaltungsaufgaben im Rahmen dieses Vertrags wahr.

Artikel 15

Voraussetzungen, um Vertragspartei zu werden

(1)   Jeder Mitgliedstaat der WIPO kann Vertragspartei dieses Vertrags werden.

(2)   Die Versammlung kann beschließen, jede zwischenstaatliche Organisation als Vertragsparteien zuzulassen, die erklärt, für die durch diesen Vertrag geregelten Bereiche zuständig zu sein, über Vorschriften darüber zu verfügen, die für alle ihre Mitgliedstaaten bindend sind, und gemäß ihren internen Verfahren ordnungsgemäß ermächtigt worden zu sein, Vertragspartei zu werden.

(3)   Die Europäische Union, die auf der Diplomatischen Konferenz, auf der dieser Vertrag angenommen wurde, eine Erklärung gemäß dem vorstehenden Absatz abgegeben hat, kann Vertragspartei dieses Vertrags werden.

Artikel 16

Rechte und Pflichten aus dem Vertrag

Sofern dieser Vertrag nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, gelten für jede Vertragspartei alle Rechte und Pflichten aus diesem Vertrag.

Artikel 17

Unterzeichnung des Vertrags

Dieser Vertrag liegt bei der Diplomatischen Konferenz in Marrakesch und danach ein Jahr lang nach seiner Annahme am Hauptsitz der WIPO zur Unterzeichnung durch jede Partei auf, die die Voraussetzungen erfüllt, um Vertragspartei zu werden.

Artikel 18

Inkrafttreten des Vertrags

Dieser Vertrag tritt drei Monate, nachdem 20 berechtigte Parteien im Sinne von Artikel 15 ihre Ratifikations- oder Beitrittsurkunde hinterlegt haben, in Kraft.

Artikel 19

Zeitpunkt des Inkrafttretens für eine Vertragspartei

Dieser Vertrag bindet

a)

die zwanzig berechtigten Parteien im Sinne von Artikel 18 ab dem Tag, an dem dieser Vertrag in Kraft getreten ist;

b)

jede andere berechtigte Partei im Sinne von Artikel 15 nach Ablauf von drei Monaten nach Hinterlegung ihrer Ratifikations- oder Beitrittsurkunde beim Generaldirektor der WIPO.

Artikel 20

Kündigung des Vertrags

Dieser Vertrag kann von jeder Vertragspartei durch eine an den Generaldirektor der WIPO gerichtete Notifikation gekündigt werden. Die Kündigung wird ein Jahr nach dem Tag wirksam, an dem die Notifikation beim Generaldirektor der WIPO eingegangen ist.

Artikel 21

Vertragssprachen

(1)   Dieser Vertrag wird in einer Urschrift in englischer, arabischer, chinesischer, französischer, russischer und spanischer Sprache unterzeichnet, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist.

(2)   Ein amtlicher Wortlaut in einer anderen als den in Artikel 21 Absatz 1 genannten Sprachen wird durch den Generaldirektor der WIPO auf Ersuchen einer interessierten Vertragspartei nach Konsultation aller interessierten Vertragsparteien erstellt. Als „interessierte Vertragspartei“ im Sinne dieses Absatzes gelten alle Mitgliedstaaten der WIPO, deren Amtssprache oder eine von deren Amtssprachen betroffen ist, sowie die Europäische Union und jede andere zwischenstaatliche Organisation, die Vertragspartei dieses Vertrags werden kann, wenn eine ihrer Amtssprachen betroffen ist.

Artikel 22

Verwahrer

Verwahrer dieses Vertrags ist der Generaldirektor der WIPO.

Marrakesch, den 27. Juni 2013

 


(1)  Vereinbarte Erklärung zu Artikel 2 Buchstabe a: Für die Zwecke dieses Vertrags wird davon ausgegangen, dass diese Definition solche Werke in Audioformat umfasst, wie zum Beispiel Hörbücher.

(2)  Vereinbarte Erklärung zu Artikel 2 Buchstabe c: Für die Zwecke dieses Vertrags wird davon ausgegangen, dass „staatlich anerkannte Stellen“ auch Stellen umfassen können, die finanzielle Unterstützung des Staates für die gemeinnützige Bereitstellung von Ausbildung, Schulungen, adaptivem Lesen oder Informationszugang für begünstigte Personen erhalten.

(3)  Vereinbarte Erklärung zu Artikel 3 Buchstabe b: Dieser Wortlaut ist nicht so auszulegen, dass die Formulierung „die nicht in einer Weise korrigiert werden kann“ den Einsatz aller möglichen medizinischen Diagnoseverfahren und Behandlungen erforderlich macht.

(4)  Vereinbarte Erklärung zu Artikel 4 Absatz 3: Es wird davon ausgegangen, dass dieser Absatz den Anwendungsbereich von gemäß der Berner Übereinkunft erlaubten Beschränkungen der oder Ausnahmen von Übersetzungsrechten zugunsten von Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen weder verringert noch erweitert.

(5)  Vereinbarte Erklärung zu Artikel 4 Absatz 4: Es wird davon ausgegangen, dass die Anforderung einer kommerziellen Verfügbarkeit nichts darüber aussagt, ob eine Beschränkung oder Ausnahme gemäß diesem Artikel dem dreistufigen Test entspricht.

(6)  Vereinbarte Erklärung zu Artikel 5 Absatz 1: Es wird davon ausgegangen, dass keine Bestimmung dieses Vertrags den Umfang ausschließlicher Rechte gemäß anderen Verträgen verringert oder ausweitet.

(7)  Vereinbarte Erklärung zu Artikel 5 Absatz 2: Es wird davon ausgegangen, dass es zur direkten Verbreitung oder Bereitstellung von Vervielfältigungsstücken in einem barrierefreien Format an begünstigte Personen für eine befugte Stelle angemessen sein kann, weitere Maßnahmen anzuwenden, um sicherzustellen, dass es sich bei der Person, die in den Genuss ihrer Dienste kommt, um eine begünstigte Person handelt, und ihre eigenen Verfahrensweisen nach Artikel 2 Buchstabe c befolgt werden.

(8)  Vereinbarte Erklärung zu Artikel 5 Absatz 4 Buchstabe b: Es wird davon ausgegangen, dass keine Bestimmung dieses Vertrags es erfordert oder voraussetzt, dass eine Vertragspartei über die in diesem Vertrag oder anderen internationalen Verträgen festgelegten Verpflichtungen hinaus den dreistufigen Test annehmen oder anwenden muss.

(9)  Vereinbarte Erklärung zu Artikel 5 Absatz 4 Buchstabe b: Es wird davon ausgegangen, dass aus keiner Bestimmung dieses Vertrags Verpflichtungen für eine Vertragspartei erwachsen, den WCT zu ratifizieren oder ihm beizutreten oder seinen Bestimmungen nachzukommen, und dass dieser Vertrag die im WCT enthaltenen Rechte, Beschränkungen und Ausnahmen nicht berührt.

(10)  Vereinbarte Erklärung zu Artikel 6: Es wird davon ausgegangen, dass die Vertragsparteien bei der Umsetzung ihrer Verpflichtungen nach Artikel 6 über dieselben Flexibilitäten gemäß Artikel 4 verfügen.

(11)  Vereinbarte Erklärung zu Artikel 7: Es wird davon ausgegangen, dass die befugten Stellen in verschiedenen Situationen bei der Herstellung, Verbreitung und Zugänglichmachung von Vervielfältigungsstücken in einem barrierefreien Format für die Anwendung technischer Vorkehrungen optieren und dieser Artikel derartige Verfahrensweisen nicht berührt, sofern sie dem nationalen Recht entsprechen.

(12)  Vereinbarte Erklärung zu Artikel 9: Es wird davon ausgegangen, dass Artikel 9 nicht so auszulegen ist, dass eine Registrierung befugter Stellen obligatorisch ist, noch dass er eine Voraussetzung dafür darstellt, dass befugte Stellen nach diesem Vertrag anerkannte Tätigkeiten ausüben; mit dem Artikel wird vielmehr der Informationsaustausch zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Vervielfältigungsstücken in einem barrierefreien Format ermöglicht.

(13)  Vereinbarte Erklärung zu Artikel 10 Absatz 2: Es wird davon ausgegangen, dass bei Werken im Sinne von Artikel 2 Buchstabe a, wozu auch Werke in Audioformat zählen, die Beschränkungen und Ausnahmen gemäß diesem Vertrag sinngemäß auf die verbundenen Rechte Anwendung finden, sofern das für die Herstellung, Verbreitung und Bereitstellung von Vervielfältigungsstücken in einem barrierefreien Format für begünstige Personen notwendig ist.